Der Rahmen des Fensters ist kühl, rau unter meinen Fingerspitzen. Ich lehne mich nicht an, nur ein leichtes Berühren, eine Verankerung. Es ist noch früh, die Luft schmeckt nach feuchtem Stein und dem ersten, zaghaften Rauch aus den Schornsteinen der Dächer unter mir. Ich atme tief ein, der Geruch von Paris am Morgen – eine Mischung aus alter Patina und dem Versprechen von frischem Kaffee, das noch in den Gassen schlummert.
Mein Blick geht durch die gewölbte Öffnung, die wie ein steinerner Vorhang die Welt da draußen fasst. Die Stadt liegt ausgebreitet, eine Decke aus Schiefer und Zink, die in der Morgendämmerung noch dunkel und verschlafen wirkt. Aber darüber, genau dort, wo die Sonne ihren ersten, triumphierenden Auftritt hat, steht sie: die Basilika Sacré-Cœur. Sie ist nicht nur ein Gebäude; sie ist ein Leuchtturm, ein stiller, weißer Riese, der aus dem goldenen Dunst emporsteigt.
Die Sonne selbst ist ein einziger, glühender Ausbruch. Sie bricht durch die Wolken, färbt den Himmel in ein tiefes, fast schon überirdisches Orange und Gold. Das Licht ist so intensiv, dass es die Konturen der Welt weichzeichnet, alles in einen Schleier aus Wärme hüllt. Ich kneife die Augen leicht zusammen, nicht wegen der Helligkeit, sondern weil dieser Anblick fast schmerzhaft schön ist.
Ich bin müde. Die Müdigkeit sitzt tief in den Knochen, ein dumpfes Echo des gestrigen Tages, der zu lang war und zu viele Worte gefordert hat. Jetzt, in dieser Stille, fühlt sich die Erschöpfung friedlich an, nicht lähmend. Es ist die gesunde Müdigkeit eines Beobachters, der sich erlaubt, einen Moment lang innezuhalten.
Ich höre fast nichts. Nur ein ferner, gedämpfter Ton, vielleicht ein frühes Auto, das unten in den Gassen anfährt, oder das leise, rhythmische Flattern eines Vogels, der über die Dächer streicht. Es ist diese Einsamkeit, die ich suche, diese fast heilige Stille, bevor die Stadt erwacht und ihr lautes, forderndes Lied anstimmt.
Ich bin oft allein unterwegs. Ich finde die Schönheit im Detail: die Art, wie das Licht den alten, rissigen Putz des Fensters golden beleuchtet; die sanfte Wölbung des Bogens, die die Welt wie ein Gemälde rahmt; das dunkle, fast samtige Grün des Baumes, der sich mutig zwischen die grauen Dächer drängt.
Ein Gefühl von leichter Melancholie steigt in mir auf, aber es ist eine süße, poetische Traurigkeit. Es ist das Wissen um die Flüchtigkeit dieses Moments, das Wissen, dass dieses Licht in einer Stunde verschwunden sein wird, dass die Hektik bald beginnen wird. Aber genau jetzt, in dieser Sekunde, gehört dieser Anblick nur mir.
Ich bin auf dem Weg zu keinem bestimmten Ziel, oder vielleicht doch: Das Ziel ist dieser Moment selbst. Ich stehe hier, die Hand am kühlen Stein, das Gesicht in der Wärme der aufgehenden Sonne. Ich bin nur ein Mensch, der die Welt betrachtet, und für diesen Augenblick fühlt sich das genug an. Es fühlt sich nach Magie an.
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